Lästern bei SAT 1

LÄS·TERN /ˈlɛstɐn,lä́stern/ sich über jemanden spöttisch oder ein wenig boshaft äußern (Quelle: Wörterbuch)

Es ist 6:30 Uhr. Das Taxi steht vor dem Hotel und nimmt mich mit, in das Studio des SAT1 Frühstücksfernsehens. Mein Thema, bei meinem heutigen Fernsehauftritt als Wertschätzungsexpertin heißt, „Was ist positiv am Lästern?“ Spannend, spannend, und nicht ganz ungefährlich, hat Lästern doch allgemeinhin den Ruf, Teufelszeug zu sein, von dem man sich abgrenzen sollte. Wer es tut, ist unreflektiert, wenig achtsam und potenziell gefährlich.

Wertschätzungsexpertin Carolin Amerling beim SAT 1 Frühstücksfernsehen

Fakt ist jedoch: Lästern ist zwar kein Grundbedürfnis, aber jeder tut es – und die wenigsten geben es zu!

Laut einer Umfrage von Readers Digest aus 2019 behaupten 50% der Befragten, nie zu lästern und nur 11% geben zu, dass sie es täglich tun*. Der britische Evolutionspsychologe Robin Dunbar, Experte auf diesem Gebiet des Lästerns, fand jedoch bereits 1997 heraus, dass Menschen mehr als 30% der täglichen Gesprächszeit fürs Lästern nutzen. Dunbar hatte mit seinem Forscherteam in Bars, Zügen und Einkaufszentren fremde Gespräche zu wissenschaftlichen Zwecken belauscht und stellte fest, dass Menschen viel und gerne lästern – und dass es ihnen oft nicht bewusst ist. Auch nach mehrmaligem Wiederholen der Studie blieben die Prozentzahlen gleich, egal ob es sich bei den Belauschten um Jüngere oder Ältere, Frauen oder Männer handelte. Menschen seien von Natur aus geschwätzig, sagt Dunbar, und das hat positive psychologische Effekte, die nicht von der Hand zu weisen sind.

Lästern stammt vom Affen ab!

Robin Dunbar ist davon überzeugt, dass Klatsch von der Fellpflege der Schimpansen abstammt. Beim so genannten Grooming (engl. to groom ‚pflegen‘, ‚putzen‘, ‚striegeln‘- steht für: Körperpflege eines Tieres) ging es zwar auch darum, den anderen von lästigen Parasiten zu befreien, aber vor allem hatte dieses Verhalten die Sozialfunktion der Vertrauensbildung, der Festigung von Beziehungen und dem Zusammenhalt der Gruppe. Da dies jedoch sehr zeitintensiv war, und unsere menschlichen Vorfahren in so großen Gruppen durch die Savanne zogen, dass nicht mehr jeder jeden hätte kraulen können, erfanden unsere Vorfahren die Sprache. Laut Dunbar ging es schon damals häufig um ganz alltäglichen Urmenschen-Klatsch, zur Förderung des sozialen Zusammenhalts. Sprechen ist einfach effektiver als Kraulen, da man mit Worten gleich mehrere Sozialpartner auf einmal erreichen kann.

Durchs das Lästern lernt man möglichst schnell möglichst viel über andere Menschen, ohne jeden von ihnen sehr gut kennen zu müssen. Nichts wird dabei so begierig aufgesogen wie der neue Tratsch über gemeinsame Bekannte. Das Lästern erfüllt dabei die wichtige Funktion eines sozialen Warnsystems: Man erfährt über Dritte, wenn jemand boshaft oder hinterhältig ist – und hält sich von ihm fern.

Lästern kann so schön sein!

Bei unseren Vorfahren war es wichtig, schnell zu erkennen, wer Freund und wer Feind war. Ein gut gestreutes Gerücht zeigte schnell, wer gleiche Wert- und Normvorstellungen vertrat und mit wem man sich solidarisieren konnte. Das war wichtig, um herauszufinden, mit wem man zusammen in einer Höhle schlafen, und den nächsten Tag noch erleben konnte. Das Reden über andere half somit dabei zu entscheiden, wer in der Gruppe aufgenommen wurde, und wer nicht.

Lästern schafft demnach schnell eine gefühlte Nähe und ein Zusammengehörigkeitsgefühl, da man schnell herausfindet, wer gleiche Ansichten vertritt. Es kann darüber hinaus ein Trostpflaster sein, wenn z.B. der Chef mal wieder sehr unsensibel gewesen ist, und man diesbezüglich über gemeinsames lästern Zuspruch von Kollegen bekommt. Lästern kann von demjenigen, der zum Lästern ausgewählt wurde, als Wertschätzung empfunden werden, und lästern lenkt von eigenen Fehltritten ab.

Mathematiker und Informatiker von der Cornell-Universität in Ithaca im US-Bundesstaat New York fanden sogar heraus, dass lästern Freundschaften stärkt! Lästern über ein gemeinsames Feindbild stärkt die Bindung zweier Personen. Ist ein vorheriger Feind plötzlich der Freund des anderen, wird die Bindung schwächer.

Aber trotz dieser positiven Komponenten des Lästerns, fühlen sich Menschen oft unwohl, nachdem sie gelästert haben. Da ist zum einen das schlechte Gewissen, zu wissen, dass es feige ist, über jemanden zu reden, der nicht anwesend ist, und zum anderen natürlich die Angst, selbst Thema einer Lästerattacke zu werden. Die wirkliche Frage beim Lästern ist daher:

Warum reden wir nicht generell positiv über andere?

Die Lösung ist einfach, wie Alex Mesoudi von der schottischen University of St. Andrews in einer 2006 erschienenen Studie herausfand. Negative Geschichten, die sich um Themen wie z.B. Untreue oder Lügen drehten, waren für die Teilnehmer nicht nur interessanter als positive Erlebnisse, sondern die Teilnehmer erinnerten sich auch besonders gut an sie und erzählten sie weiter. Bewertungsplattformen belegen dieses Ergebnis. So werden positive Erlebnisse nur dreimal geteilt, negative 33 mal.

Negatives bleibt also besser im Gedächtnis haften. Das Team um Alex Mesoudi schlussfolgerte daraus, dass Lästern dabei hilft, herauszufinden, welche Personen man besser meidet, und um Orientierung für das eigene Handeln zu geben. Es findet ein sozialer Abgleich statt, was opportun ist, und was nicht.

Beispielsweise wurde bei der Trennung des Promi-Paars Brad Pitt und Angelina Jolie, die für Hollywood-Maßstäbe eine lange Ehe führten, die Moral transportiert, dass sich Fremdgehen rächt. Darüber lässt sich wunderbar lästern, und die eigene Wertvorstellung der Treue abgleichen, denn die Betroffenen werden nie davon erfahren. Das schlechte Gewissen hält sich somit in Grenzen.

Doch obwohl Lästern manchmal richtig guttut, rettet es das soziale Ansehen nicht. Fakt ist, dass Tuscheln hinter dem eigenen Rücken unangenehm ist, vor allem, wenn es um die eigene Person geht. Daher ist es nachvollziehbar, dass das Thema Lästern höchst kritisch beäugt wird.

Tatsächlich wäre diese Welt schöner, wenn niemand mehr lästern würde, und wir uns alle mit Freundlichkeit, positiver Offenheit und Wertschätzung begegnen würden. Wenn alle Menschen mit sich selbst im Reinen, neidlos und moralisch integer wären.

Leider ist das Leben aber kein Ponyhof, und wir sind alle nur Menschen! Um die Bibel zu zitieren: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Wer hat beim Anbick eines übergewichtigen Menschen nicht schon mal dachte : „Wie kann man sich nur so gehen lassen?“ oder „Bestimmt trinkt er nur Cola.“ Trotz noch so achtsamen Verhaltens findet in unserem Kopf ein ständiger Abgleich mit unserer Umwelt, und ein damit einhergehendes Lästern über Dinge statt, die nicht in unsere Vorstellungen passen. Das ist oft nicht nett, aber den eigenen, oft völlig überhöhten Maßstäben an Wertvorstellungen, Verhalten und Optik geschuldet, die wir für uns selbst und andere zugrunde legen. Da die Erreichung dieser eigenen hehren Ziele schon für uns selbst nahezu unmöglich ist, tut es gut, bei anderen auch Makel zu finden, und diese aufzuzeigen und zu bewerten. Es ist das Trostpflaster für die eigene gefühlte Unzulänglichkeit, und Frustration.

Lästern kann somit auf drei Ziele einzahlen: Die eigene Unzulänglichkeit erträglich zu machen, Werte mit anderen abzugleichen und somit ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und gleichzeitig in sozial akzeptierter Form Dampf abzulassen.

Lästern Dos and Dont‘sImmer schön bei der Sache bleiben!

Lästern ist natürlich kein Grundbedürfnis, sondern ein bewertender Reflex, der, wie alle Reflexe, schwer beherrschbar ist. Umso wichtiger ist es, sich selbst diesbezüglich zu reflektieren, denn Lästern ist, auch das ist nicht von der Hand zu weisen – eine Form verbaler Aggression und kann damit, wenn es in Mobbing abgleitet, sehr viel Schaden anrichten.

Meine Empfehlung: Beim Lästern immer bei der Sache bleiben. Das Kleid der Nachbarin hässlich zu finden, das Auto des Kollegen völlig übertrieben, oder die neue Frisur der Freundin völlig daneben, und sich darüber, unter dem Siegel der Verschweigenheit, mit Verbündeten auszutauschen, hat etwas von Waldorf und Statler aus der Muppetshow, ist aber menschlich. Es handelt sich dabei um lästernde Eintagsfliegen, die dazu dienen, Gemeinsamkeiten mit dem Lästerpartner abzugleichen, sich für einen Moment besser zu fühlen oder um Dampf abzulassen. Sie sind am nächsten Tag Schnee von gestern.

Wenn Lästern jedoch  nur noch das Ziel hat, einen anderen Menschen fertig zu machen, verbal unter die Gürtellinie geht, wissentlich Unwahrheiten verbreitet, und bewusst jemand anderen schädigt, um besser dazustehen, dann handelt es sich nicht mehr um Lästern, sondern um Mobbing. Dann ist es Zeit Stopp zu sagen!

Es ist ein wichtiger und entscheidender Unterschied, ob jemand sagt, dass die Gesundheitspolitik von Herrn Spahn zum Kotzen ist, oder dass Herr Spahn zum Kotzen ist. Ersteres zahlt auf die Politik ein, zweiteres auf die Person. Gerade in den sozialen Netzwerken wie Facebook zeigt sich, dass dieser Unterschied oft nicht klar ist, und dass das Lästern unbedingt Grenzen braucht, denn diese Überschreitungen enden viel zu häufig in Mobbing und Rufschädigungen.

Mobbing als Machtdemonstration ist ein absolutes No go!

Mobbing hat nichts mehr mit dem Aufbau von Netzwerken und einem Gemeinschaftsgefühl zu tun, sondern dient ausschließlich der Aufpolierung des mangelnden Selbstwertgefühls des Lästernden. Es entlarvt beim Mobbenden persönliche Schwächen wie Neid, Missgunst und Eifersucht. Dabei wird die soziale Isolation des Mobbingopfers und dessen psychische Folgen billigend in Kauf genommen.  

Mobbing ist oft das Mittel der Wahl von zutiefst frustrierten und unglücklichen Menschen, mit einem unzureichenden Selbstwertgefühl, um sich für einen Moment größer, stärker und machtvoll zu fühlen. Sie nutzen die Macht, andere Menschen fertigzumachen, um von ihren eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Dieser Push des eigenen Selbstwerts, der durch die Herabsetzung eines anderen entsteht, hält jedoch nur kurz an, was dazu führt, dass die Attacken immer häufiger und immer massiver stattfinden. Genau dann ist es wichtig, sich scharf von dieser Mobbingattacke abzugrenzen!

Mobbing die rote Karte zeigen! So geht’s !

Viele Menschen fühlen sich gegenüber Mobbing machtlos und haben Schwierigkeiten, sich von lästernden und mobbenden Menschen abzugrenzen, oft aus der Angst, selbst Opfer zu werden. Hier sind nun sechs Maulkörbe, mit denen man Mobbing unterbinden kann:

Maulkorb 1: Charme-Offensive
Dem Lästernden was Nettes entgegensetzen. „Findest du? Ich finde den Kollegen XY sehr nett!“

Maulkorb 2: Rückfragen
Die Killerrückfrage schlechthin ist „Warum erzählst du mir das?“ – da Mobbing oft nur das Ziel hat, jemanden grundlos zu diffamieren, gibt es hierauf keine Antwort.

Maulkorb 3: Platzverweis
Die mobbenden Person mit dem Satz „Das solltest du vielleicht lieber mit der Person selbst besprechen“ stehen lassen.

Maulkorb 4: Parkuhrtipp!
Nichts antworten, nichts sagen, umdrehen und gehen.

Maulkorb 5: Solidarität
Das ist der wichtigste Maulkorb! Auch neutrale und unbeteiligte Personen, die von einem Mobbing wissen, sind an der Mobbing-Situation beteiligt. Sie müssen aktiv Stellung zu dem Mobbingopfer beziehen, denn Mobbing kann am schnellsten beendet werden, wenn es von der Mehrheit der unbeteiligten und neutralen Personen nicht mehr geduldet wird. Menschen, die gemobbt werden, sollten sich daher an die Neutralen und Unbeteiligten wenden und um Unterstützung bitten.

Maulkorb 6: Stellung beziehen
In Ergänzung zu Maulkorb 5 ist es wichtig, Stellung zu beziehen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.  Es hilft dem Opfer, wenn man sich im Konflikt räumlich zu ihm stellt, oder sich z.B. in der Kantine dazu setzt. Gemeinsamkeit macht stark – und Mobbing hat dann keine Chance!

Es ist 9:30 Uhr – das Taxi holt mich im Sender ab, und bringt mich zum Bahnhof. Es geht zurück nach Köln. Zwei Aufzeichnungen von fünf Minuten sind abgedreht – zu wenig Zeit, um diesem spannenden Thema im Kontext mit Wertschätzung gerecht zu werden, aber hoffentlich genug Zeit, um Impulse zu geben, und eine Diskussion anzuregen. Es hat Spaß gemacht – gerne komme ich wieder!

Herzlichst
Ihre

Carolin Amerling